von Stephan Steins – Hat der 62jährige französische Politiker und Direktor des IWF (Internationaler Währungsfond) in New York ein Zimmermädchen bedroht und vergewaltigt? Das wissen wir natürlich nicht. Gleichwohl lohnt es sich, die mediale Inszenierung um diesen Vorgang in einem weiteren Kontext genauer zu betrachten.
Lustgreis dingfest gemacht?
Laut einiger französischer Medien leidet Dominique Strauss-Kahn angeblich schon länger an einem gestörten Verhältnis zur Damenwelt. Seine Gattin hingegen bestreitet das.
Unterstellen wir die Richtigkeit der Gerüchte, würde dies allerdings nicht automatisch den Tatvorwurf erhärten. Denn wollte man, genauer gesagt ein Geheimdienst, eine Zielperson diskreditieren, so würde man sich zweckdienlicher Weise Umstände im Leben der Person bedienen, welche einen inszenierten Tathergang besonders glaubwürdig erscheinen liessen.
Beispiel: Ist jemand dafür bekannt, gerne einen über den Durst zu trinken, so läge es im Falle eines geplanten Attentats nahe, das Opfer durch einen Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss zu beseitigen.
Anders herum würde es wenig Sinn machen, jemanden an einer Fleischvergiftung sterben zu lassen, der bekanntermaßen Vegetarier ist.
Auch wenn Strauss-Kahn tatsächlich die angezeigte Tat begangen haben sollte, wie wahrscheinlich ist es dann, dass eine derart hochgestellte Persönlichkeit, einer der leitenden Funktionäre des Imperiums, der imperialen Oligarchie, umgehend verhaftet und derart medienwirksam vorgeführt wird?
Nach allem was wir in den vergangenen Jahrzehnten in ähnlichen Fällen erlebt haben, scheint dies doch eher unwahrscheinlich, um nicht zu sagen ausgeschlossen zu sein. Eine Staatsanwaltschaft würde den Vorwurf aufnehmen und Heere von Rechtsanwälten würden sich auf der juristischen Ebene in Bewegung setzen. Ein Gefängnis von innen – nach Anschuldigung durch ein Zimmermädchen – würde ein prominenter Politiker und Finanzfunktionär wie Strauss-Kahn erst dann sehen, wenn es zu einer Verurteilung mit anschliessender Haftstrafe käme.
Cui bono – Wer profitiert von der Verhaftung?
Dass der Vorgang in Zusammenhang mit der Rolle Strauss-Kahns für den IWF steht, könnte zwar sein, halte ich aber eher für unwahrscheinlich, da der IWF und seine Politik nicht derart von Einzelpersonen abhängt, sondern stärker in ggf. konkurrierende Fraktionen strukturiert ist.
Zudem Strauss-Kahn seinen IWF-Posten in den kommenden Monaten ja sowieso wegen der bevorstehenden Präsidentschaftskandidatur und des Wahlkampfs in Frankreich hätte aufgeben müssen.
Aus dieser Perspektive stellt sich der Fall anders dar und beginnt Sinn zu machen, sofern man Strauss-Kahns zentrale Rolle für die französische Innenpolitik, seine Bedeutung für die nächsten französischen Präsidentschaftswahlen und darüber hinaus im Kontext der sich dramatisch zuspitzenden Krise der EU (Europäische Union), deren EURO-Währungskrise lediglich die Spitze des Eisberg markiert, genauer unter die Lupe nimmt.
Was vielen Zeitgenossen ausserhalb Frankreichs noch nicht aufgefallen oder hinreichend bewusst geworden ist; Mit Marine Le Pen, Frontfrau der „Front National“, Tochter des Gründers der Partei Jean-Marie Le Pen, verfügt die nationale Rechte in Frankreich über eine höchst charismatische wie aussichtsreiche Politikerin.
Strauss-Kahn (für die PS – Sozialistische (sozialdemokratische) Partei) und Le Pen sollten beide bei den französischen Präsidentschaftswahlen im April 2012 gegen den amtierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy antreten.
Marine Le Pen und ihre „Front National“ gehören somit neben Sarkozy denn auch zu den Profiteuren aus der Verhaftung und Diskreditierung Dominique Strauss-Kahns.
Wie hängt das nun zusammen?
Französische Umfragen vom März 2011 sagen der Kandidatin Marine Le Pen 23 Prozent der Wählerstimmen bei den kommenden Präsidentschaftswahlen voraus, womit sie vor Präsident Nicolas Sarkozy (21%) läge.
Die Wahl zum Präsidenten entscheidet sich in Frankreich durch einen zweiten Wahlgang, bei dem nur noch die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen aus dem ersten Wahlgang gegeneinander antreten. Ein Stimmenanteil von nur rund 20 Prozent im ersten Wahlgang kann also durchaus ausreichend sein, um im zweiten Wahlgang das höchste Amt der „Grande Nation“ zu erringen.
Die Chancen für den amtierenden Nicolas Sarkozy auf Wiederwahl werden allgemein als eher gering eingeschätzt. Das eigentliche Rennen wäre also zwischen Marine Le Pen und Dominique Strauss-Kahn ausgetragen worden.
Nun wird sich vielleicht mancher fragen, wieso das Imperium und seine Geheimdienste ein Interesse daran haben könnten, eine Politikerin der nationalen Rechten wie Marine Le Pen zu Amt und Würden verhelfen zu wollen? Blicken wir etwas zurück in die jüngere Europäische Geschichte:
Grundsätzlich ist ein EU-kritischer Trend in weiten Teilen der Europäischen Union zum Faktum geworden. Da eine sozialistische Linke in vielen Ländern der EU nicht wahrnehmbar ist, haben europaweit neue Kräfte der nationalen Rechten eigentlich klassisch linke Themen, wie Antiimperialismus und nationales Selbstbestimmungsrecht, auch die soziale Frage und demokratische Bürgerechte für sich entdeckt und mit wachsendem Erfolg besetzen können.
Die politische Institution EU – und damit eine zentrale Säule der imperialen Struktur – wird also wirksam nur von Parteien der jeweiligen nationalen Rechten bedrängt.
Im Jahre 2002 wurde der niederländische Politiker Pim Fortuyn kurz vor den Parlamentswahlen ermordet. Fortuyn war in einem Land der EU einer der ersten höchst populären und aussichtsreichen Kandidaten mit einer dezidiert antiimperialen Agenda. Er war das, was die Propaganda der imperialen Rechten (= Parteienkartell pro EU/NATO/Imperium) als „Rechtspopulisten“ tituliert.
Mit der Ermordung Pim Fortuyns verschwand allerdings nicht die politische Basis und Zustimmung zu seinen Positionen und programmatischen Ansätzen, veränderte sich nicht das gesellschaftliche Klima im Lande.
2004 wurde der niederländische Publizist und Filmemacher Theo van Gogh ermordet, der gerade an seinem Dokumentarfilm über die Hintergründe der Ermordung Pim Fortuyns arbeitete.
Bekanntermaßen stieg in den Niederlanden dann in den folgenden Jahren nunmehr der „Rechtspopulist“ Geert Wilders auf und füllte die Lücke Pim Fortuyns im politischen Spektrum.
Was Geert Wilders allerdings deutlich von Pim Fortuyn unterscheidet, ist sein kompromissloses Bekenntnis zum Imperium, zu den USA, zur NATO – und vor allem zum Zionismus und Israel.
Dieser neuen Richtung nationaler Rechter, Marke Geert Wilders, geht es nicht mehr um die Problematisierung der Überfremdung Europas allgemein und damit korrespondierenden Themen, sondern nunmehr wird daraus ein „Kulturkampf“ zwischen Islam und vermeintlichen westlichen Werten, insbesondere steht auch die Verteidigung des Zionismus bzw. Israels gegen den Islam im Vordergrund.
Es ist von zentraler Bedeutung, diesen Unterschied zu verstehen – das eine hat nämlich nichts mehr mit dem anderen zu tun.
Die dahinter stehende Strategie ist, den Volksunmut gegen Imperialismus, gegen den Verlust nationaler Souveränitätsrechte und Überfremdung als Hebel zur Desintegration des republikanischen Nationalstaats, in Bahnen zu lenken, die geeignet sind den imperialen Zielen der USA/EU/NATO dienlich sein zu können.
Trivialer ausgedrückt; Wenn man schon nicht eine breite Europäische antiimperiale und Anti-EU-Bewegung verhindern kann, dann gilt es wenigstens eine solche unter eigene Kontrolle zu bringen.
2003 kam der FDP-Politiker Jürgen Möllemann unter ungeklärten Umständen beim Fallschirmspringen zu Tode.
Möllemann versuchte die FDP national-liberal auszurichten, analog der Entwicklung entsprechender Projekte in Nachbarländern. Dabei fuhr Möllemann auch einen entschieden antizionistischen Kurs.
Der Grüne-Politiker Jamal Karsli sprach damals von einem „Vernichtungskrieg“ Israels gegen Palästina und der Propaganda der „zionistischen Lobby“ in Deutschland. Karsli, der natürlich umgehend durch den Mainstream geteert und gefedert und sozial deklassiert wurde, fand auf Initiative Möllemanns in der FDP-Fraktion Nordrhein-Westfalens eine neue politische Heimat.
Mit der neu positionierten Möllemann-FDP erwuchs schlagartig eine bürgerliche Opposition jenseits imperialer Kontrolle mit Aussicht auf erhebliche Wahlerfolge.
Auf den Vorwurf des „Antisemitismus“ folgte der Tod Möllemanns – und somit auch das Ende der politischen Neuausrichtung der FDP.
2008 schliesslich kam der nächste „Rechtspopulist“ zu Tode. Diesmal erwischte es den Österreicher Jörg Haider.
Auch der EU-Kritiker Haider, der sich gegen den imperialen Krieg gegen Irak einsetzte, wurde des „Antisemitismus“ bezichtigt. Dies eskalierte bis hin zu diplomatischen Sanktionen durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen die Republik Österreich.
Politisch beerbt wurde Jörg Haider durch Heinz-Christian Strache, den heute starken Mann der FPÖ.
Strache reiste im September 2010 mit einer Delegation von Vertretern mehrerer Parteien der neuen nationalen Rechten aus verschiedenen Europäischen Ländern in das zionistisch besetzte Jerusalem, Hauptstadt Palästinas, und verabschiedete dort die sog. „Jerusalemer Erklärung“, die – ganz auf der Linie auch des Niederländers Geert Wilders – ein unmissverständliches Bekenntnis zum Zionismus bzw. Israel enthält.
Kommen wir zurück zu Marine Le Pen, der rechtsnationalen Französin und aufstrebenden politischen Stern am Europäischen Himmel.
Wir müssen uns vor Augen führen, dass durchaus eine realistische Möglichkeit besteht, dass Marine Le Pen im kommenden Jahr Präsidentin Frankreichs wird.
Dieses Szenario ist jetzt, nach der Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn, nochmals deutlich wahrscheinlicher geworden.
Und dies – die Machterlangung einer Partei der nationalen Rechten in einem Kernland des Imperiums bzw. der NATO – würde eine Eruption der internationalen politischen Landschaft weit über Europa hinaus bedeuten.
Oder auch nicht wirklich. Denn Marine Le Pen hat, wie u.a. die israelische Zeitung „Haaretz“ im März berichtete, zwischenzeitlich ebenfalls ihr Bekenntnis zum Zionismus und damit zum imperialen Grundkonsens abgegeben.
So lesen wir dort unter der Überschrift „Die Führerin der französischen Rechtsextremisten Marine Le Pen bestätigt ihre Unterstützung für Israel“:
„Die neue Führerin der führenden rechtsextremen Partei in Frankreich hat Anstrengungen unternommen, das Image ihrer Partei in Bezug auf Israel neu zu definieren, bekräftigte das Recht Israels auf Sicherheit vor Terrorismus und kritisierte die iranische Führung“.
Hier wird also nicht nur dem Zionismus beigestanden, sondern darüber hinaus auch noch gleich angedeutet, worin die weitere Reise gehen könnte, indem die imperiale Propaganda vom Iran als „Schurkenstaat“ bedient wird.
Imperiale NATO-Kriege galten bislang eigentlich nicht zum Markenkern der nationalen Rechten, auch nicht der französischen „Front National“.
Aber vielleicht macht das Einschwenken auf NATO-Linie den Unterschied aus zwischen der lebenden und der toten Marine Le Pen.
Mit der Sozialistischen (sozialdemokratischen) Partei eines französischen Staatspräsidenten Dominique Strauss-Kahn würde eine Unterstützung Frankreichs für den imperialen, globalen Krieg nur ungleich schwerer aufrecht zu erhalten sein, als unter der jetzigen Regierung Sarkozy.
Insbesondere auch ein möglicher Krieg gegen den Iran würde in einem schlechten Licht erscheinen, wenn die Atommacht Frankreich die NATO-Linie verlassen oder gar ihre Mitgliedschaft in dem imperialen Militärbündnis in Frage stellen würde.
Nicht etwa, dass die französische PS nicht grundsätzlich auch dem Parteienkartell der imperialen Rechten zuzurechnen wäre, allerdings ist deren politische Basis, sind die Gewerkschaften und ggf. linke Bündnispartner ein Faktor von ungleich stärkerem Gewicht als bspw. in Deutschland, insbesondere auch für den Handlungsspielraum der PS. In Frankreich lässt sich imperiale Politik nicht einfach so von oben widerstandslos durchwinken wie hierzulande, nicht zuletzt auch mit Unterstützung der systemtreuen Scheingewerkschaften des DGB und der SED/PDS/Linke.
Das Problem PS-Regierung in Frankreich dürfte sich durch die Diskreditierung ihres aussichtsreichsten Kandidaten, eben jenes Dominique Strauss-Kahn, wohl bis auf Weiteres erledigt haben.
Aus einem Kopf an Kopf-Rennen zwischen Strauss-Kahn und Le Pen ist also schlagartig jetzt eines zwischen Le Pen und Sarkozy geworden.
Und sofern die Berichte über Marine Le Pens neu definierte Treue zur NATO korrekt sind, sehen sich die Herrschenden der imperialen Oligarchie allenfalls noch mit einem grösseren und einem kleineren Übel konfrontiert, wobei die Generallinie so oder so gewahrt bleibt.
Gefunden auf: http://die-rote-fahne.eu/headline133243.html
Siehe auch: https://deinweckruf.wordpress.com/2010/11/22/die-cia-totete-uwe-barschel-und-die-bundesregierung-wusste-davon/